Warum es arrogant ist, anderen zu vergeben

Wenn du schon mal von jemandem verletzt worden bist, und ich schätze mal, dass dir das schon mal passiert ist, dann bist du sicherlich auch schon mal über das „Vergeben“ gestolpert.

Manchmal soll man vergeben, aber es klappt nicht, weil man einfach noch so eine sau-wut auf den anderen hat. Manchmal ringt man sich durch und macht die eine oder andere Vergebensübung aber es tut sich einfach nichts. Und vielleicht fragst du dich auch, wieso verdammt nochmal, soll ICH eigentlich vergeben, wenn doch der andere so ein A….ist???

Vor einigen Jahren habe ich das Buch von Neale Donald Walsh gelesen „was wirklich wichtig ist“. Darin beschreibt er, dass es im spirituellen Sinn keine Vergebung braucht. Damals bin ich ziemlich über dieses Konzept gestolpert, da ich bisher (und teilweise immer noch) mit Vergebensübungen im Coaching arbeite. Ich habe das dann etwas nach hinten in meinen Kopf abgeschoben.

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Dieses Jahr ist aber einiges im Umbruch – so auch in mir selbst – und neue Ideen bahnen sich ihren Weg zu mir. Vor einiger Zeit bin ich aus einer anderen Quelle noch einmal über eine ähnliche Perspektive gestolpert, die ich seither in mir ein bisschen hin und her wälze. Und die ich sehr alltagstauglich finde. Daher möchte ich sie gerne mit dir teilen.

Wenn ich so darüber nachdenke, dann ist es doch irgendwie recht arrogant, wenn ich zu jemandem sage: „ich vergebe dir“. Spürst du das auch, wenn du dir diesen Satz auf der Zunge zergehen lässt? Es hat so ein bisschen einen faden Beigeschmack. So von oben herab.

Als ob ich den anderen verurteile und mich jetzt dazu herablasse, ihm zu sagen, er/sie sei jetzt „in Ordnung“. Irgendwie fühlt sich das in mir nicht (mehr) stimmig an.

Was Vergebung nicht ist

Bei “Vergebung” meinen ja viele Menschen, dass man das für ok erklären muss, was ein anderer getan (oder auch gelassen) hat. Vor einigen Jahren wurde ich mal betrogen (der Blödmann hat also etwas getan) und dann hat er, als ich mich von ihm trennte, noch nicht mal um mich gekämpft (er hat was unterlassen). Das fand ich damals doppelt scheisse. Was ich aber damals noch nicht kapiert hatte - heute ist mir das aber absolut klar - ich bin schön im Opfermodus geblieben, um ihm alle Schuld unterzujubeln. Erst mit der Zeit wurde mir klar, dass ich zu der ganzen Situation auch meinen Beitrag geleistet habe. Ich wollte nämlich viele Dinge gar nicht wahrnehmen und hab die Vogel-Strauss-Taktik angewendet. Immer schön Kopf in den Sand dann geht´s schon irgendwann vorüber. Das ging es dann auch. Halt mit einem schönen lauten Knall, als mein Leben vor meinen Augen explodierte :-)

Aber zurück zur Vergebnung. Nicht das “ich befinde es für gut, was der andere getan hat” ist die Essenz von Vergebung. Sondern: Im Wesen der Vergebung liegt der Akt der Selbstbefreiung. Du wirst innerlich frei von einem alten, aber immer noch sehr aktiven, Schmerz. Diese alte Verletzung loszulassen und dadurch Beziehungen zu klären, das ist es, worum es letztendlich bei der Vergebung geht. Aber nicht, indem wir uns über andere stellen oder den anderen auf einen Podest erheben.

Worum es eigentlich wirklich geht

Es geht vielmehr darum, jetzt aufzuhören, den eigenen inneren Schmerz ständig weiter zu nähren, sondern zu entscheiden, jetzt weiter zu gehen. Als freier Mensch.

Das beinhaltet, aufzuhören, den anderen zu beurteilen. Das bedeutet auch, die Lust, die alten Geschichten immer wieder zu erzählen, zu überwinden und dich neuen Dingen zuzuwenden. Das erfordert auch, dass du den anderen nicht weiter bestrafen willst, nicht weiterhin recht haben willst.

Wie das geht?

Das musst du gar nicht wissen (das ist das schöne daran). Alles was du tun musst, ist dich zu entspannen und deinen Widerstand aufzugeben.

Statt zu sagen „ich vergebe dir“ kannst du innerlich sagen: „ich höre auf, dich zu beurteilen, und ich bin jetzt frei!“

Tauche hindurch - und dann tauche wieder auf

Mir ist völlig klar, dass das gar nicht so einfach ist. Wenn eine andere Person dich sehr verletzt hat, wie auch immer, dann fühlst du diesen Schmerz vielleicht noch sehr. Lass dieses schmerzvolle Gefühl zu, es darf sein. Tauche durch dieses Gefühl hindurch. Emotionen wollen gefühlt werden. Sie bringen etwas in uns in Bewegung, daher ist es so wichtig, sie anzunehmen und auftauchen zu lassen. Nicht wegdrücken, denn das führt zu Widerstand und Erstarrung. Im Wort Emotion steckt auch das Wort „motio“, die Bewegung. Ach negative oder schmerzvolle Gefühle bringen etwas bei uns in Bewegung. Wenn wir uns trauen, sie zu spüren, ebben sie nach einigen Minuten von alleine wieder ab, aber wir bleiben im Fluss des Lebens und erstarren nicht, wenn wir sie zulassen.

Du kannst also zu deinem Peiniger innerlich sagen: „Wenn ich die Verletzungen loslasse, an denen ich festgehalten habe, befreit es mich und beendet die toxischen Auswirkungen von Groll, Wut und Traurigkeit, die auf mich gewirkt haben. Ich lasse jetzt los. Ich bin frei und du bist frei“

Wenn dich das noch nicht so richtig befreit innerlich, kannst du alte Verletzungen zusätzlich mit folgenden Schritt heilen: Stell dir die andere Person vor deinem geistigen Auge vor. Lass dich nicht in die alte Geschichte hineinziehen, was damals passiert ist. Sage einfach, wie du dich damals gefühlt hast und was du dir statt dessen gewünscht hättest. Z.B. „Liebe Sabine, ich fühlte mich durch deine Reaktion XY wertlos. Ich wollte mich aber geschätzt und geliebt fühlen“. Du kannst noch beobachten, ob sich dein inneres Bild verändert, ob sich dein Gefühl innerlich verändert. Dann verabschiede dich innerlich und lasse los. Der Schmerz kann bei dir jetzt enden, denn du darfst jetzt aufhören, ihn zu tragen, ständig wieder zu beleben, ihn weiter zu führen. Entscheide dich dafür, dass diese Situation jetzt abgeschlossen ist und mit dieser Entscheidung ist deine Freiheit garantiert.

Du wirst sehen, wie dadurch in deinem Leben wieder so einiges in Bewegung kommt.

Manchmal nagen wir auch an einer Situation, für die wir uns selbst bestrafen, uns selbst verachten oder verurteilen. Das ist der schlimmste Schaden, den du dir selbst zufügen kannst. Es ist daher ungemein wichtig, gut zu dir selbst zu sein. Hier finde ich übrigens die Vergebung nicht arrogant, im Gegenteil. Hier dürfen wir uns selbst vergeben, nämlich dafür, dass wir eine Situation mit-erschaffen haben und uns dafür zur Verfügung gestellt haben. Wenn wir also davon reden, dass wir unsere Realtiät selbst erschaffen, dann bedeutet das auch hier, dass wir die volle Verantwortung übernehmen dürfen für das, was wir in unserem Leben erleben. Irgendetwas hat eine Situation erschaffen, die schmerzvoll für uns war. Diesem Teil vergeben wir: „Ich vergebe mir, dass ich dies erschaffen habe. Ich liebe mich“.

Vielleicht kommt dir das jetzt ein bisschen abgefahren vor, aber mir gibt es immer ein Gefühl von Leichtigkeit zurück. Wenn ich diesen Satz innerlich für mich spreche, dann wir mir leichter ums Herz und es ist, als ob ich meine Macht wieder zurücknehme. Die Selbstvergebung ist also für mich gleichzeitig auch eine Selbstermächtigung, denn die Macht, die ich dem Täter abgegeben habe, um das Opfer zu sein, hole ich mir in diesem Moment wieder zurück. Sobald wir uns eingestehen, dass wir etwas erschaffen haben, bekommen wir also unsere gesamte Kraft wieder zurück.

Das schöne daran ist, dass ich mich dann jederzeit für eine neue Kreation entscheiden kann. Welches neue Erlebnis willst du dir heute, morgen und in Zukunft erschaffen?

Wirf die ollen Kamellen über Bord

Wirf alle Geschichten über das, was andere tun oder lassen, über Bord. Achte einfach auf die Gefühle, mit denen du auf andere Menschen und bestimmte Situationen reagierst. Darin liegt der Schlüssel!

Sobald du achtsam wahrnimmst, was in dir geschieht, es annehmen und zulassen kannst, stellt sich mit der Zeit die harmonische, natürliche Ordnung wieder her. In jeder Situation solltest du nicht die anderen oder das, was sie tun, verändern wollen. Denn das bedeutet, dass du Macht an sie abgibst. Nimm lediglich deine gefühlsmäßigen Reaktionen wahr und lass sie weich fließen. Egal wie negativ die Gefühle auch sein mögen. Sie zu fühlen, öffnet dir alle Türen.

Wenn du magst, dann halte dir einfach folgenden Satz in Erinnerung: „ich höre auf, dich/es zu beurteilen, damit ich selbst frei sein kann. Ich lasse es los, meinetwegen“.

Ich hoffe, das fühlt sich für dich auch so gut an, wie für mich.

Herzlichst, deine Sara